Statement

Das leere/ übrige Weiß

 

Das Hauptmotiv meiner Arbeit stellt das ambivalente Verhältnis der Menschen zu sich und zueinander dar: Ich betrachte den Menschen in der heutigen Gesellschaft als den zwei gespaltenen Einzelnen. Er hat einerseits den Wunsch nach und den Willen zur Kommunikation und zur Harmonie mit den anderen, andererseits sucht er nach seinem eigenen Raum, der frei von gesellschaftlichen und äußeren Zwängen und Vorurteilen existiert.

Dieser innere Zwiespalt soll in den Figuren meiner Bilder dargestellt werden. Jede Figur ist grundsätzlich das selbstbezogene Dasein. Die Figuren können sich auf die intersubjektive Beziehung einlassen, insofern sie wechselseitig Rücksicht aufeinander nehmen. Teilweise gelingt ihnen der Versuch des Miteinanders, teilweise bleiben ihre Bemühungen ohne Erfolg. Dennoch verzichten meine Figuren nicht auf die Hoffnung. Sie verstehen diese unvermeidlichen und inneren Konflikte als existentielle Bedingung des Menschseins, was mit einer Waagschale vergleichbar ist, die niemals zum Stillstand kommt.

Auf der Suche nach einer Lösung für die Ambivalenz stieß ich zunächst auf den Begriff Yeoyu, welches auf Koreanisch „Gelassenheit“ bedeutet. Durch das Loslassen wird einerseits das Verständnis für andere ermöglicht, und andererseits bleibt der Raum für sich erhalten. In dem Begriff Yeobaek, der wörtlich als „das übrige Weiß“ übersetzt werden kann und ein traditionell bedeutsames Element der Kalligraphie und der koreanischen traditionellen Kunst darstellt, sah ich in dieser Hinsicht eine gewisse Parallele: Bildlich bedeutet Yeobaek die weiße Fläche, die neben den Schriftzeichen übrig bleibt, d.h.: das leere Weiß ist ein gegebener Raum. Sobald eine Figur – ein Zeichen – darin gesetzt wird, verschwindet die Leere, dennoch existiert sie weiterhin als leere weiße Fläche. Yeobaek steht also für den leeren (metaphysischen) Raum jenseits von allen Begrenzungen; meines Erachtens bewältigt Yeobaek die Dichotomie zwischen innen und außen. Beispielsweise bezieht sich der Raum über eine Farbe des Bildes auf dieselbe Farbe der Wand, an der das Bild hängt, d.h. auf den Raum außerhalb des Bildes. Dies erzielt die Erweiterung und Einheit des Raumes.

Für die kompositorische Umsetzung von Yeobaek versuche ich, die Farben und Objekte in diesem Raum zugunsten einer geplanten Nichtvollendung stark zu reduzieren. Was ich so sichtbar/unsichtbar mache, lädt den Betrachter zu einer Interaktion ein:  das Wechselspiel zwischen Ruhezustand und „Im Fluss Sein“ ist eine Weiterführung der Ambivalenz.

Manche Figuren sind absichtlich abgeschnitten, wodurch der Bildraum unterbrochen wird. Diese Diskontinuität eröffnet einen weiteren Raum, der sich dem vorherigen anschließt und sich fortsetzt. Die abgeschnittenen Figuren sind Fragmente des augenblicklichen inneren Zustands – eine Art der Momentaufnahme. Es soll die Unmöglichkeit darstellen, dass man niemals den anderen vollständig erfassen kann.

Yeobaek stellt für das Individuum eine Möglichkeit dar, über sich hinaus und mit den anderen sein zu können; im Yeobaek kommunizieren meine Figuren miteinander. Schließlich existiert Yeobaek zwischen meinem Bild und meinem Publikum, das sowohl Abgrenzung als auch Kommunikation ermöglicht.